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Update Beihilferecht: Neue De-minimis-Schwellenwerte ab dem 01.01.2024

13. December 2023

Die Europäische Kommission hat am 13. Dezember 2023 eine neue sog. De-minimis-Verordnung beschlossen (siehe Pressemeldung hier). Die neuen Regelungen müssen noch im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden und sollen ab dem 01. Januar 2024 bis zum 31. Dezember 2030 gelten. Von der Reform betroffen sind insbesondere die De-minimis-Schwellenwerte und die Transparenzvorschriften. Wir geben einen Überblick über die Änderungen.

1. Was regelt die beihilferechtliche De-minimis-Verordnung?

Beihilfen sind nach dem EU-Beihilferecht grundsätzlich bei der Kommission anzumelden (sog. Notifizierungspflicht, Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV). Solange eine anmeldepflichtige Beihilfe nicht von der Kommission genehmigt wurde, darf sie nicht gewährt werden (sog. Durchführungsverbot, Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV). Dies soll gewährleisten, dass die Wirkungen der Beihilfe nicht eintreten, bevor die Kommission diese prüfen konnte.

Von der Notifizierung ausgenommen sind unter anderem sog. De-minimis-Beihilfen. Denn bei geringfügen Beihilfen wird davon ausgegangen, dass sie keinen Einfluss auf den Wettbewerb und den Handel des Binnenmarkts der Europäischen Union haben. Die Voraussetzungen für die Ausnahme von der Notifizierungspflicht ergeben sich aus der sog. De-minimis-Verordnung (bis zum 31. Dezember 2023 Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen, EU-Amtsblatt L 352, 24.12.2013, S. 1-8 (hier); ab dem 01. Januar 2024 dann Verordnung (EU) …/… der Kommission vom 13.12.2023 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen [Veröffentlichung im EU-Amtsblatt steht aus]).

2. Für welche Sektoren gilt die De-minimis-Verordnung?

Die De-minimis-Verordnung gilt für Beihilfen an Unternehmen aller Wirtschaftszweige mit folgenden Ausnahmen:

  • Beihilfen an Unternehmen, die in der Primärproduktion, Verarbeitung und Vermarktung (mit Einschränkungen) von Erzeugnissen der Fischerei oder der Aquakultur tätig sind;
  • Beihilfen an Unternehmen, die in der Primärproduktion, Verarbeitung und Vermarktung (mit Einschränkungen) landwirtschaftlicher Erzeugnisse tätig sind;
  • Beihilfen für exportbezogene Tätigkeiten, die auf Mitgliedstaaten oder Drittländer ausgerichtet sind;
  • Beihilfen, die davon abhängig sind, dass heimische Waren und Dienstleistungen Vorrang vor eingeführten Waren und Dienstleistungen erhalten.

Für die Sektoren Aquakultur und Fischerei gibt es eigene De-minimis-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 717/2014, aufrufbar hier). Auch für den Agrarsektor gibt es eine eigene De-minimis-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1408/2013, aufrufbar hier).

Ferner wird die Gewährung von Beihilfen zur Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in der sog. DAWI-De-minimis-Verordnung geregelt. Die darin geregelten Schwellenwerte wurden durch einen Beschluss der Europäischen Kommission vom 13. Dezember 2023 von bislang EUR 500.000 auf EUR 750.000 erhöht (siehe Pressemeldung hier).

3. Auf welche Beihilfemaßnahmen findet die De-minimis-Verordnung Anwendung?

Die De-minimis-Verordnung gilt nur für sog. „transparente“ De-minimis-Beihilfen. Dies erfordert, dass der sog. Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden kann, ohne dass eine Risikobewertung erforderlich ist. Der Bruttosubventionsäquivalent ist die Höhe der Beihilfe, wenn diese als Zuschuss für den Empfänger gewährt worden wäre, vor Abzug von Steuern und sonstigen Abgaben.

Vereinfacht gesagt muss durch eine Obergrenze gewährleistet sein, dass der einschlägige Höchstbetrag nicht überschritten wird.

Dies ist typischerweise bei Zuschüssen, Zinszuschüssen oder begrenzten Steuerbefreiungen einfach umzusetzen. Bei anderen Beihilfemaßnahmen wie Darlehen, Kapitalzuführungen, Risikofinanzierungsmaßnahmen und Garantien (Bürgschaften) müssen aber zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden, damit die Einhaltung des Schwellenwerts sichergestellt ist (Art. 4 Abs. 2-6 De-minimis-Verordnung n.F.). Die Europäische Kommission hat ferner neue Vorschriften für die Gewährung von Beihilfen für Finanzintermediäre, die eine oder mehrere De-minimis-Beihilferegelungen durchführen, beschlossen (Art. 4 Ab. 7 De-minimis-Verordnung n.F.).

4. Welche Schwellenwerte sind ab dem 01.01.2024 zu beachten?

Die Europäische Kommission korrigiert die Schwellenwerte für (allgemeine) De-minimis‑Beihilfen nach zehn Jahren nach oben. Die Unterscheidung zwischen Beihilfen für den Bereich gewerblicher Straßengüterverkehr und sonstige Bereiche hat sie aufgegeben.

Der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat gewährten De-minimis-Beihilfen darf in einem Zeitraum von drei Steuerjahren nunmehr EUR 300.000 (vorher: EUR 100.000 für Unternehmen im Bereich des gewerblichen Straßengüterverkehrs und EUR 200.000 für sonstige Bereiche) nicht überschreiten (Art. 3 Abs. 2 De-minimis-Verordnung n.F.).

Daraus folgt insbesondere:

  • Ein Unternehmen kann von mehreren Mitgliedstaaten De-minimis-Beihilfen erhalten.

Beispiel: Unternehmen A kann sowohl von Deutschland als auch von Österreich Beihilfen in Höhe von jeweils EUR 300.000, verteilt über drei Steuerjahre, erhalten, ohne dass diese addiert werden müssten.

  • Der relevante Zeitraum beträgt nicht etwa ein Kalender- oder Geschäftsjahr, sondern drei aufeinanderfolgende Steuerjahre. Bei jeder neuen Gewährung einer De-minimis-Beihilfe ist die Gesamtsumme der in den vergangenen drei Jahren gewährten De-minimis-Beihilfen heranzuziehen.

Beispiel: Unternehmen A kann hat im Jahr 2023 den damals geltenden De-minimis-Betrag von EUR 200.000 erhalten. In den zwei anschließenden Steuerjahren 2024 und 2025 darf die Beihilfe auf insgesamt EUR 300.000 aufgestockt werden. Im Jahr 2026 müssten die EUR 200.000 aus dem Jahr 2023 nicht mehr berücksichtigt werden, sodass der „De-minimis-Kontostand“ dann bei 100.000 EUR läge.

Zu beachten ist: alle Einheiten, die (rechtlich oder tatsächlich) von ein und derselben Einheit kontrolliert werden, sind als ein einziges Unternehmen anzusehen. Unternehmen, deren einzige Beziehung untereinander jedoch darin besteht, dass jedes von ihnen eine direkte Verbindung zu derselben bzw. denselben öffentlichen Einrichtungen aufweist, sollten hingegen nicht als miteinander verbunden eingestuft werden. So wird der besonderen Situation von Unternehmen Rechnung getragen werden, die der Kontrolle derselben öffentlichen Einrichtung bzw. Einrichtungen unterliegen, aber möglicherweise über unabhängige Entscheidungsbefugnisse verfügen.

5. Was sehen die neuen Transparenzvorschriften vor?

Die Europäische Kommission verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, ab dem 01. Januar 2026 alle De-minimis-Beihilfen in einem zentralen Register auf nationaler oder Unionsebene zu erfassen (Art. 6 Abs. 1 De-minimis-Verordnung n.F.). Die Europäische Kommission verspricht sich davon eine bessere Kontrolle der Beihilfengewährung auch jenseits der meldepflichtigen AGVO-Freistellungen und den notifzierungspflichtigen Beihilfen. Außerdem soll das zentrale Register zur Verringerung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen beitragen.

Das Zentralregister muss so eingerichtet werden, dass die Angaben leicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind und gleichzeitig die Einhaltung der Datenschutzvorschriften der Union, falls erforderlich auch durch die Pseudonymisierung spezifischer Einträge, gewährleistet ist (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 De-minimis-Verordnung n.F.).

6. Was folgt aus den Änderungen für Beihilfegeber und Beihilfeempfänger?

Die neue De-minimis-Verordnung gilt ab dem 01. Januar 2024. Zwar ergibt sich für Beihilfegeber und -empfänger aufgrund der höheren Schwellenwerte ein größerer Förderspielraum. Letztlich dürften die Auswirkungen in der Praxis aber gering bleiben, da die Erhöhung nur das Inflationsgeschehen der letzten knapp zehn Jahre auffängt.

Die Pflicht zur Pflege des zentralen De-minimis-Beihilfenregisters wird naturgemäß zunächst zu einem Mehraufwand auf der Seite der Beihilfegeber führen. Andererseits könnte die zentrale Erfassung zur Beschleunigung an anderer Stelle führen, da damit die sog. De-minimis-Erklärungen hinfällig werden dürften. Bis das zentrale Register jedoch funktionsfähig ist, bleibt es dabei, dass Beihilfegeber von den Beihilfeempfängern vor der Gewährung der Beihilfe zur Prüfung der Voraussetzungen der De-minimis-Voraussetzungen eine Erklärung dazu verlangen können, in welchem Umfang diesen in den letzten drei Jahren De-minimis-Beihilfen gewährt wurden.

 

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