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Das EU-Gesellschaftsrecht im digitalen Wandel – Europäische Kommission prüft Vereinheitlichung und Vereinfachung von Regelungen zu Unternehmensdaten

17. January 2022

Der digitale Wandel macht auch vor dem Gesellschaftsrecht keinen Halt. Die jüngste Initiative der Europäischen Kommission betrifft den Zugang zu Informationen über Unternehmen in der EU, die Vereinheitlichung der Informationen in den Unternehmensregistern der Mitgliedstaaten und die Harmonisierung damit zusammenhängender Transparenzvorschriften und Mitteilungspflichten. Ferner soll die verstärkte Nutzung digitaler Werkzeuge es den Unternehmen ermöglich, leichter die administrativen Schritte für die Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten zu bewältigen.

Die Europäische Kommission hat am 21. Dezember 2021 die öffentliche Konsultation zu ihrer Initiative zur Modernisierung des digitalen Gesellschaftsrechts begonnen. Das bietet Stakeholdern die Gelegenheit, bis zum 08. April 2022 ihre Meinung zu der Initiative einzubringen.

Wir stellen im Folgenden vor, welche Reformvorschläge die Europäische Kommission zur Diskussion stellt.

1. Was ist der Auslöser für die Initiative?

Die Covid-19-Pandemie hat eindrücklich die Bedeutung des digitalen Wandels für die Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeiten der Unternehmen und der staatlichen Verwaltungen in der EU vor Augen geführt. Spätestens seitdem sind die digitale Kommunikation und Aktenführung in Unternehmen aber auch in Behörden nicht mehr wegzudenken.

Der vollen Ausschöpfung der Vorteile der Verwendung digitaler Werkzeuge stehen jedoch noch einige Hindernisse im Wege. Insbesondere in grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen und -tätigkeiten sind vertrauenswürdige Unternehmensinformationen in der Praxis häufig nicht zugänglich oder aufgrund unterschiedlicher Datenlagen z.B. von der Behörde eines Mitgliedstaates zu der Behörde eines anderen Mitgliedstaats nicht übertragbar. Dies stellt vor allem Gründer und auch bereits etablierte Unternehmen, die in einem anderen Mitgliedstaat wirtschaftlich aktiv werden wollen, vor große Herausforderungen. Darüber hinaus wird der rechtliche Wert von Unternehmensinformationen in Registern je nach Mitgliedstaat unterschiedlich eingestuft, sodass Register zum Teil die Informationen anderer Register nicht akzeptieren oder diese nicht in Gerichts- oder Behördenverfahren genutzt werden können. Das kann sowohl für Unternehmen als auch für andere Interessengruppen wie Gesellschafter, Gläubiger, Rechtsbeistände oder Behörden zu administrativem Mehraufwand oder zur Nichtverwendbarkeit von Informationen führen.

Beispielsweise sind bislang nur die Informationspflichten für Gesellschaften mit beschränkter Haftung und für bestimmte Unternehmensdaten harmonisiert. Außerdem ist das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System, kurz: „BRIS“) noch nicht vollständig etabliert: Eigentlich sollen seit Juni 2017 die Unternehmensregister aller EU-Mitgliedstaten darüber miteinander vernetzt sein (mehr hier), noch ist das aber nicht gelungen.

Die Europäische Kommission sieht hierin ein Hindernis für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr im Binnenmarkt, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU).

2. Was genau bezweckt die Initiative?

Vor diesem Hintergrund will die Europäische Kommission das Gesellschaftsrecht der EU weiter an die fortschreitenden digitalen Entwicklungen anpassen. Dabei baut sie auf die Digitalisierungsrichtlinie auf (Richtlinie (EU) 2019/1151 über den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht hier).

Mit der Digitalisierungsrichtlinie soll durch den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren die Gründung von Gesellschaften und die Errichtung von Zweigniederlassungen in einem anderen Mitgliedstaat für Unternehmen vereinfacht und in Bezug auf Zeit und Kosten effizienter gestaltet werden. Dazu verpflichtet die Digitalisierungsrichtlinie insbesondere zur Einführung der Online-Gründung der GmbH sowie zu Online-Verfahren bei Registeranmeldungen für Kapitalgesellschaften und Zweigniederlassungen. Die Mitgliedstaaten mussten die Richtlinie eigentlich bis zum 01. August 2021 umsetzen. Deutschland hat jedoch von der in der Digitalisierungsrichtlinie vorgesehenen Option zur Verlängerung der Umsetzungsfrist um ein Jahr Gebrauch gemacht und das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie vom 05. Juli 2021 erlassen (abrufbar hier). Dieses tritt in großen Teilen am 01. August 2022 in Kraft.

Mit der jetzigen Initiative sollen die Regelungen der Digitalisierungsrichtlinie weiter ergänzt werden. Dabei wird insbesondere bezweckt:

  • die Transparenz für EU-Unternehmen durch die grenzüberschreitende Bereitstellung umfassender Informationen zu verbessern,
  • die grenzüberschreitende Nutzung vertrauenswürdiger Unternehmensdaten zu ermöglichen,
  • das EU-Gesellschaftsrecht weiter zu modernisieren und für das digitale Zeitalter fit zu machen.

3. Was ist Gegenstand der Konsultation?

Einen ausformulierten Vorschlag mit konkreten Maßnahmen gibt es bisher nicht. Vielmehr stellt die Europäische Kommission eine Reihe von Fragen zum Nutzungsverhalten der Stakeholder hinsichtlich Unternehmensdaten, zu Hindernissen bei der Nutzung von Unternehmensregistern in anderen Mitgliedstaaten und zu weiteren Digitalisierungsmöglichkeiten im EU-Gesellschaftsrecht.

Der Fragenkatalog bietet erste Anhaltspunkte dafür, in welche Richtung ein Gesetzesvorschlag gehen könnte. Er gliedert sich in vier Abschnitte:

  • Transparenz: Besserer Zugang zu mehr Informationen über Unternehmen in der EU

Die Europäische Kommission will insbesondere in Erfahrung bringen, ob ein Bedarf dafür besteht, zusätzliche harmonisierte Unternehmensinformationen in nationalen Unternehmensregistern und über BRIS offen zu legen sowie ob eine Verknüpfung mit den jeweiligen Insolvenz- und Transparenzregistern sowie den Grundbüchern erfolgen sollte. Unter anderem stellt sie die Frage, ob über den Typ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung hinaus auch Informationen zu anderen Unternehmensformen harmonisiert werden sollten.

  • Optimale Nutzung der Unternehmensinformationen in der EU – Verwendung der in den nationalen Unternehmensregistern verfügbaren Unternehmensdaten in grenzüberschreitenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren

Die Europäische Kommission stellt zur Diskussion, ob es Behörden und Gerichten eines Mitgliedstaates möglich sein sollte, über BRIS Zugriff auf die Unternehmensinformationen eines Registers in einem anderen Mitgliedstaat zu haben. Dies wäre etwa hilfreich, weil Behörden und Gerichte mancher Mitgliedsstaaten (speziell auch in Deutschland) Registerdaten aus anderen Mitgliedstaaten nicht immer akzeptieren. Als Lösungsansätze schlägt die Europäische Kommission sichere digitale Übertragungskanäle, die Anerkennung elektronisch beglaubigter Kopien oder die Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Verifizierung der Richtigkeit von Unternehmensdaten vor ihrer Eintragung in ein Register vor.

  • Schaffung der Möglichkeit für Unternehmen, Informationen aus ihren nationalen Unternehmensregistern zu nutzen, wenn sie auf Märkte in anderen Mitgliedstaaten expandieren („once-only principle“)

Zur Debatte steht insbesondere die Vereinfachung administrativer Schritte für die Niederlassung in anderen Mitgliedstaaten. Die Europäische Kommission schlägt erneut BRIS als mögliche Lösung vor. Zur Gründung einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung könnte ein Unternehmen die Verwendung der Informationen beantragen, die in dem Unternehmensregister seines Gründungslandes bereits erfasst sind. Dadurch müsste es dieselben Informationen nicht noch einmal gesondert für das Register der Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung vorlegen.

  • Digitalisierung der gesellschaftsrechtlichen Verfahren und Berücksichtigung neuer digitaler Entwicklungen im EU-Gesellschaftsrecht

Schließlich besteht im letzten Abschnitt die Möglichkeit, sich grundsätzlich zum Bedarf an weiterer Digitalisierung von Verfahren im EU-Gesellschaftsrecht zu äußern. Die Europäische Kommission fragt etwa danach, ob die Möglichkeit der Online-Gründung auch für andere Gesellschaftsformen (z.B. Personengesellschaften) geschaffen werden sollte und für welche Schritte von Gesellschaftsgründungen überhaupt noch Angaben in Papierform gemacht werden sollten. Darüber hinaus interessiert sie sich auch für erste Erfahrungen hinsichtlich der Nutzung von „virtual registered offices“ in den Mitgliedstaaten.

4. Wie können Interessierte ihre Meinung zur Initiative kundtun?

Interessierte können bei der Europäischen Kommission bis zum 08. April 2022 (Mitternacht Brüsseler Zeit) Stellung zu der Initiative nehmen (Informationen hier). Die Aufforderung dazu richtet sich an sämtliche Interessenträger. Dazu gehören insbesondere Behörden der Mitgliedstaaten, Unternehmen, Wirtschaftsverbände und -organisationen, Gewerkschaften, Angehörige der Rechtsberufe, Anleger, Gläubiger sowie Experten aus Forschung und Lehre. Die Teilnahme an der Konsultation erfolgt durch Beantwortung eines Online-Fragebogens. Es können daneben aber auch eigenständige Stellungnahmen eingereicht werden.

Die Rückmeldungen im Rahmen der Konsultation werden von der Europäischen Kommission bei der Entwicklung und Erarbeitung eines Gesetzgebungsvorschlags berücksichtigt. Die Annahme eines Gesetzgebungsvorschlags durch die Europäische Kommission ist für das vierte Quartal 2022 geplant. Er wird anschließend vom Europäischen Parlament und vom Rat verhandelt. Wie lange das Gesetzgebungsverfahren dauern wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzbar.

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Jennifer Wagener
Jennifer Wagener

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