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Europäische Kommission unter Zugzwang: Rechtsschutzmöglichkeiten in EU-Beihilfeverfahren mit Berührungspunkten zum EU-Umweltrecht könnten gestärkt werden

18. Juli 2022

Die Europäische Kommission prüft zurzeit, ob und wie die Rechtsschutzmöglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und anderen Mitgliedern der Öffentlichkeit in EU-Beihilfeverfahren gestärkt werden sollten, wenn ein Verstoß gegen das EU-Umweltrecht im Raum steht. Die Stärkung der Rechtsschutzmöglichkeiten könnte insbesondere nichtstaatlichen Umweltschutzorganisationen zugutekommen.

Als Teil der Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens hält die Europäische Kommission vom 13. Juli 2022 bis 5. Oktober 2022 zwei parallel laufende öffentliche Konsultationen ab. Wir fassen die wichtigsten Informationen für Sie zusammen.

Was ist der Auslöser der Überprüfung?

Das für die Durchsetzung des Århus-Übereinkommens zuständige Århus Convention Compliance Committee (ACCC) hat am 17. März 2021 (abrufbar hier) die geltenden Bestimmungen des EU-Rechts für unzureichend erachtet. Die derzeitigen Möglichkeiten für Mitglieder der Öffentlichkeit, die Beschlüsse der Europäischen Kommission über staatliche Beihilfen, die potenziell gegen das EU-Umweltrecht verstoßen, anzufechten, seien nicht mit den Verpflichtungen aus dem Århus-Übereinkommen vereinbar.

Das Århus-Übereinkommen von 1998 verpflichtet die Vertragsparteien, wozu auch die Europäische Union gehört, Mitgliedern der Öffentlichkeit in Umweltangelegenheiten folgende Rechte einzuräumen:

  • Zugang zu Informationen,
  • Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren, und
  • Zugang zu den Gerichten.

Soweit Mitglieder der Öffentlichkeit etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, sollen sie nach dem Århus-Übereinkommen Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen. Ferner soll dieser Zugang einen angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicherstellen. Üblicherweise sind es nichtstaatliche Umweltschutzorganisationen, die sich auf die Rechte aus dem Århus-Übereinkommen stützen.

Das Århus-Übereinkommen wurde durch die sog. Århus-Verordnung ins EU-Recht umgesetzt. Die Århus-Verordnung gilt jedoch ausdrücklich nicht für Maßnahmen oder Unterlassungen der Europäischen Kommission in EU-Beihilfeverfahren (Art. 2 Abs. 2 lit. a Århus-Verordnung). Die Europäische Kommission begründete die Ausnahme bislang insbesondere damit, dass nach dem Århus-Übereinkommen Beschlüsse mit gerichtlichem oder gesetzgeberischem Charakter ausgenommen werden können und dass das Handeln der Kommission als Aufsichtsbehörde dem gleichgestellt sei. Ferner befürchtet die Europäische Kommission – wie auch die Mitgliedstaaten – erhebliche Verzögerungen bei den beihilferechtlichen Notifizierungs- und Prüfverfahren. Die Genehmigung von Beihilfen mit Berührungspunkten zu Umweltangelegenheiten könnte sich dadurch in die Länge ziehen.

Im Jahr 2021 hatte der Unionsgesetzgeber bereits die Århus-Verordnung überarbeitet, um als Reaktion auf Kritik des ACCC die Rechtsbehelfe für NGOs in Umweltangelegenheiten auszuweiten (siehe hier). Die Ausnahmebestimmung für die EU-Beihilfeverfahren war damals zunächst ausgeklammert worden. Die Kommission hatte sich aber verpflichtet, Änderungsmöglichkeiten zu prüfen. Dem kommt sie mit den aktuellen Konsultationen nach.

Welche Rechtsschutzmöglichkeiten gibt es bislang und warum reichen diese nach Auffassung des ACCC nicht aus?

Die Europäische Kommission stellte sich bislang auf den Standpunkt, dass nichtstaatliche Umweltschutzorganisationen wie auch andere Mitglieder der Öffentlichkeit bereits ausreichende Informationsansprüche und Teilnahmerechte hätten, wenn im Rahmen eines EU-Beihilfeverfahrens auch Umweltangelegenheiten zum Tragen kommen. Das ACCC nimmt diese Rechte zwar zur Kenntnis, sieht sie jedoch nicht als ausreichend an:

  • Mitgliedstaaten, Personen, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, deren Interessen aufgrund der Gewährung einer Beihilfe beeinträchtigt sein können, können die Europäische Kommission nach Art. 24 Verfahrensverordnung des Rates für staatliche Beihilfen über einen (potenziell) EU-beihilferechtswidrigen Sachverhalt informieren und damit ein Prüfverfahren der Europäischen Kommission anstoßen. Die Informanten haben jedoch keine Möglichkeit, die von der Europäischen Kommission anschließend getroffenen Entscheidungen anzufechten.
  • Jede natürliche oder juristische Person ist in Bezug auf Rechtsakte der Europäischen Kommission nach Art. 263 Abs. 4 AEUV klagebefugt, wenn sie an sie adressiert sind. An der Adressatenstellung fehlt es jedoch bei Genehmigungsbeschlüssen im EU-Beihilferecht, weil sich diese an die Mitgliedstaaten richten. Klagebefugt sind beispielsweise Umweltschutzorganisationen dann nur, wenn sie eine direkte und unmittelbare Betroffenheit nachweisen können.
  • Ist ein beihilferechtlicher Genehmigungsbeschluss Gegenstand einer Nichtigkeitsklage vor den Unionsgerichten, können Personen, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft machen können (z.B.  Umweltschutzorganisationen) regelmäßig die Zulassung als Streithelfer beantragen und auf diese Weise an dem Gerichtsverfahren teilnehmen, Einsicht in die Verfahrensakte erhalten und Stellungnahmen abgeben. Der ACCC stellte jedoch fest, dass die Streithelfer insoweit nicht von der Klagepartei unabhängig sind.
  • Ähnlich verhält es sich bei Vorabentscheidungsverfahren, im Rahmen derer im nationalen Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfragen des EU-Umweltrechts durch den EuGH in Luxemburg beantwortet werden können. Jedoch setzt dies voraus, dass nach nationalem Recht die Klagebefugnis vorliegt. Außerdem dient das Vorabentscheidungsverfahren nicht dem Zweck, Beschlüsse der Europäischen Kommission auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

Wie könnten die Rechtsschutzmöglichkeiten der Öffentlichkeit und insbesondere von Umweltschutzorganisationen gestärkt werden?

Die Europäische Kommission hat verschiedene (alternative) Optionen entwickelt, die zu einer Stärkung der Rechtsschutzmöglichkeiten in EU-Beihilfeverfahren mit Bezug auf das EU-Umweltrecht führen könnte:

  • Option 1 – Streichung der Ausnahme für Beschlüsse über staatliche Beihilfen aus der Århus-Verordnung: Die von der Kommission gefassten Beschlüsse über staatliche Beihilfen würden denselben Überprüfungsverfahren (Art. 10, 12 Århus-Verordnung) unterliegen wie Maßnahmen und Unterlassungen in anderen Bereichen des EU-Rechts, die bereits in den Anwendungsbereich der Århus-Verordnung fallen. Die Änderung der Århus-Verordnung müsste vom Europäischen Parlament und dem Rat angenommen werden.
  • Option 2 – Änderung des Verhaltenskodex für die Durchführung von EU-Beihilfeverfahren, um ein internes Überprüfungsverfahren nach dem Vorbild der Århus-Verordnung einzuführen: Der Verhaltenskodex gibt den Mitgliedstaaten, den Beihilfeempfängern und anderen Interessenträgern Leitlinien für die praktische Funktionsweise der EU-Beihilfeverfahren an die Hand. Vorteil dieser Option sei, dass das Überprüfungsverfahren restriktiver (bspw. begrenzt auf positive Genehmigungsentscheidungen, nicht aber im Falle der Verweigerung der Genehmigung) und v.a. kürzer gestaltet werden könnte, als es bei Option 1 der Fall wäre. Außerdem müssten Europäisches Parlament und Rat für diese Gesetzesänderung nicht eingebunden werden.
  • Option 3 – Änderung der Verfahrensverordnung des Rates für staatliche Beihilfen, um ein internes Überprüfungsverfahren nach dem Vorbild der Århus-Verordnung einzuführen: Zwar könnte wie bei Option 2 der Anwendungsbereich der gestärkten Verfahrensrechte restriktiver gestaltet werden. Jedoch würde diese Option die Abstimmung mit dem Rat erfordern.

Wie geht es nun weiter?

Die Europäische Kommission hat sich gegenüber dem Europäischen Parlament und dem Rat verpflichtet, bis Ende 2022 eine Analyse der Feststellungen des ACCC und eine Prüfung der verfügbaren Optionen durchzuführen. Bis Ende 2023 soll die Europäische Kommission dann einen Lösungsvorschlag unterbreiten, der anschließend – je nach gewählter Lösung – gegebenenfalls noch das EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen müsste.

Zur Vorbereitung dieser Analyse und des gegebenenfalls sich anschließenden Gesetzgebungsverfahrens führt die Europäische Kommission vom 13. Juli 2022 bis 5. Oktober 2022 parallel zwei öffentliche Konsultationen durch:

  • Möglichkeit zur Stellungnahme (siehe hier).
  • Beantwortung eines Fragebogens (siehe hier).

Zur Stellungnahme bzw. zur Beantwortung des Fragebogens sind alle Bürgerinnen und Bürger sowie sonstige Interessengruppen aufgerufen.

 

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