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Reform der IPCEI-Mitteilung – was Unternehmen im Blick behalten sollten

31. März 2021

Nach dem EU-Beihilferecht kann die staatliche Förderung sog. IPCEI („Important Projects of Common European Interest“) von der Europäischen Kommission genehmigt werden. Die Voraussetzungen hierfür sind zurzeit Gegenstand eines Reformvorhabens.

Die Kriterien, welche die Europäische Kommission für die Prüfung dieses Ausnahmetatbestandes anwendet, ergeben sich aus der IPCEI-Mitteilung (ABl. C 188 vom 20.06.2014, S. 4-12). Die Geltungsdauer dieser Mitteilung läuft, nach einer kurzfristigen Verlängerung im Frühjahr 2020, zum 31. Dezember 2021 aus. Die Europäische Kommission hat Anfang 2021 einen Reformvorschlag für die IPCEI-Mitteilung vorgelegt. Bis zum 20. April 2021 können sich Bürger, Organisationen, Unternehmen und Behörden hierzu im Rahmen einer öffentlichen Konsultation äußern (Link hier).

Wir stellen im Folgenden die Reformvorschläge vor und geben einen Ausblick auf die in Zukunft zu erwartenden Einsatzfelder der IPCEI-Privilegierung.

1. Warum werden IPCEI durch das EU-Beihilferecht privilegiert?

Wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse sollen durch das europäische Beihilferecht nicht blockiert werden. Zwar sind nach Art. 107 Abs. 1 AEUV staatliche Beihilfen, die durch die Begünstigung von Unternehmen den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, grundsätzlich verboten. Die EU steht jedoch seit jeher solchen staatlichen Förderungen offen gegenüber, welche einen Beitrag zu einem oder mehreren Zielen der Union liefern.

Solche Ziele sind insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit der EU, das nachhaltige Wachstum, die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen oder die Wertschöpfung in der gesamten Union. In den vergangen Jahren sind weitere gesellschafts- und industriepolitische Ziele hinzugetreten, wie der European Green Deal, die Digital Strategy, die neue Industriestrategie und Next Generation EU.

Insbesondere diese neuen Ziele lassen sich nach Auffassung der EU-Kommission nicht durch den Markt selbst erreichen. Die EU-Kommission erkennt daher an, dass IPCEI eine erhebliche Beteiligung der öffentlichen Hand erfordern. Die Mitgliedstaaten sollen IPCEI daher mit Beihilfen unterstützen dürfen. Durch die Beteiligung mehrerer Mitgliedstaaten und einer Vielzahl größerer und kleinerer Unternehmen und Forschungseinrichtungen sollen zudem Wissen, Know-how und finanzielle Mittel zusammengeführt werden und der Industriestandort EU insgesamt gestärkt werden.

2. Welche Reformvorschläge unterbreitet die EU-Kommission?

Aus der IPCEI-Mitteilung ergibt sich der Maßstab, anhand dessen die EU-Kommission die Fördervorhaben der Mitgliedstaaten überprüft. Der in den Jahren 2019/2020 durchgeführte sog. Fitness-Check der EU-Kommission zur Mitteilung ergab nur einen geringen Anpassungsbedarf. Den Reformvorschlag legte die EU-Kommission Anfang 2021 vor. Dabei kam die Ergänzung der Liste der Ziele der Union um die in den letzten Jahren hinzugetretenen Ziele (Green Deal, Digital Strategy, Europäische Datenstrategie, Industriestrategie für Europa, Next Generation EU, Neuer Europäischer Forschungsraum für Forschung und Innovation, Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft, Klimaneutralität bis 2015) wenig überraschend. Auch mit der Betonung der Einbindung von KMU und Klarstellungen bei bislang streitigen Definitionen (z.B. Definition der „ersten gewerblichen Nutzung“) konnte gerechnet werden. Ferner soll ein IPCEI nunmehr die Beteiligung von mindestens vier Mitgliedstaaten voraussetzen, sofern nicht eine geringere Zahl gerechtfertigt ist (Rn. 17 n.F.), und allen Mitgliedstaaten muss eine echte Gelegenheit geboten werden, sich an dem Vorhaben zu beteiligen (Rn. 18 n.F.).

Überraschender, weil sich so nicht zwingend aus dem Fitness-Check ergebend, kam hingegen die Erleichterung bei den Vereinbarkeitskriterien. In der bisherigen Fassung der IPCEI-Mitteilung (Rn. 27 a.F.) ist noch das „Vorliegen eines Marktversagens oder anderer wichtiger systemischer Mängel sowie der Beitrag zu einem gemeinsamen europäischen Interesse“ erforderlich. Der Reformvorschlag (Rn. 30 n.F.) spricht hingegen vom „Vorliegen schwerwiegender Marktstörungen oder systemischer Ausfälle oder gesellschaftlicher Herausforderungen sowie einem gemeinsamen europäischen Interesse für die einzelnen Bestandteile eines integrierten Vorhabens“. Außerdem soll bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung kein „Überwiegen“ (Rn. 26 a.F.) der positiven Auswirkungen mehr erforderlich sein, sondern ein „Aufwiegen“ der Wettbewerbsverfälschungen und Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten ausreichen (Rn. 45 n.F.).

Diese beiden Änderungen sind nicht nur sprachlicher Natur, sondern schrauben die Anforderungen materiell herab und erleichtern künftig den Nachweis für die Erforderlichkeit der Förderung. Die EU-Kommission will wohl die Attraktivität von IPCEI erhöhen und damit sicherstellen, dass Leuchtturmprojekte auf den Weg gebracht werden können.

3. Wie geht es nach Ende der öffentlichen Konsultation weiter?

Nach Ende der öffentlichen Konsultation mit Ablauf des 20. April 2021 wird die EU-Kommission die Rückmeldungen auswerten und letzte Korrekturen vornehmen. Da die aktuelle IPCEI-Mitteilung zum Ende des Jahres ausläuft, dürfte die neue Fassung noch vor dem 31. Dezember 2021 im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden.

Wie bisher werden die IPCEI-Anforderungen „nur“ in Form einer Mitteilung der EU-Kommission festgelegt, mit welcher sie Anhaltspunkte für ihre beihilferechtliche Würdigung von IPCEI liefert. Es handelt sich also um eine Selbstbindung ihrer Verwaltungspraxis. Es bedarf dafür keiner Zustimmung des Europäischen Parlaments oder des Rats.

Da die Mitteilung – anders als die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) – keine Freistellung von „konformen“ Beihilfen beinhaltet, bedarf es in jedem Einzelfall einer Genehmigung der Kommission. Angesichts der typischen hohen Beihilfevolumen ist diese Einzelfallprüfung auch angemessen.

4. In welchen Sektoren dürfte die IPCEI in Zukunft in Betracht kommen?

Bislang wurden nur drei IPCEI-Vorhaben im Bereich der Forschung und Entwicklung von der EU-Kommission freigegeben: Microelectronics (Ende 2018, Beihilfenvolumen 1,75 Mrd. €), European Battery Alliance (Ende 2019, Beihilfenvolumen 3,2 Mrd. €) und European Battery Innovation (Anfang 2021, Beihilfenvolumen 2,9 Mrd. €). Im Bereich der Infrastruktur wurde die IPCEI-Ausnahme nur für die Fehmarnbeltquerung zwischen Deutschland und Dänemark herangezogen.

Das Strategische Forum IPCEI hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2019 sechs Sektoren empfohlen, in welchen die Mitgliedstaaten ihre finanziellen Kräfte bündeln und die Unternehmen in ihren Kooperationen entlang den Wertschöpfungsketten fördern sollten. Diese sind:

  • Clean, connected and autonomous vehicles
  • Smart health
  • Low CO2 emissions industry
  • Hydrogen technologies and systems
  • Industrial Internet of Things
  • Cybersecurity

Im Bereich Wasserstoff ist die Projektierung bereits weit fortgeschritten. Am 17. Dezember 2020 unterzeichneten 22 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen eine Absichtserklärung über europäische Projekte und Investitionen in diesem Bereich (Pressemeldung). Das BMWi rechnet damit, dass – nach Freigabe der Förderungen nach den IPCEI-Kriterien durch die EU-Kommission – die ersten Förderbescheide bereits 2022 erteilt werden könnten (Meldung hier).

IPCEI-Vorhaben in den anderen Sektoren dürften sich hingegen noch in der Sondierungsphase auf Ministerialebene und zwischen den Mitgliedstaaten befinden.

5. Worauf sollten Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in Zukunft achten?

  • Unternehmen, welche in den unten genannten Sektoren aktiv sind, sollten die Möglichkeit der Einbindung in IPCEI-Vorhaben im Blick behalten. Mit mitgliedstaatlicher Unterstützung könnten sich zukunftsträchtige Geschäftsfelder entwickeln lassen, welche bislang wegen der erheblichen Investitionsvolumen und der signifikanten Risiken durch den Markt nicht weiter verfolgt wurden.
  • IPCEI-Vorhaben werden maßgeblich von den Wirtschaftsministerien der Mitgliedstaaten betreut, leben aber von dem Input und der Initiative von Unternehmen. Eine frühe Kontaktaufnahme mit den Behörden und die aktive Mitwirkung von Unternehmen bei der Projektgestaltung können sicherstellen, dass die Vorhaben so gestaltet werden, dass die Innovationsbeiträge und Ziele der Unternehmen berücksichtigt werden können.

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