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KMU-Begriff im Beihilferecht – Schwellenwerte richtig anwenden

29. March 2021

Kleine und mittlere Unternehmen (kurz: KMU) genießen im EU-Recht seit jeher in vielen Bereichen eine Sonderstellung. Dies gilt insbesondere für das EU-Beihilferecht: Nach der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) gelten für KMU bei bestimmten Beihilfentypen höhere Förderhöchstsätze – oder es kommen überhaupt nur KMU als Beihilfeempfänger in Betracht. Der KMU-Begriff ist daher in der beihilfenrechtlichen Praxis von erheblicher Relevanz.

In diesem Beitrag stellen wir die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Einordnung als KMU im Sinne des EU-Rechts vor und beantworten typische Fragestellungen.

1. Was sind die Voraussetzungen für das Vorliegen eines KMU?

Als KMU gilt nach der AGVO ein Unternehmen, welches weniger als 250 Personen beschäftigt und entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Million EUR erzielt oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Millionen EUR beläuft.

Die Mitarbeiterzahl muss nach sog. „Jahresarbeitseinheiten“ berechnet werden, in denen ausgeschiedene und neu eingestellte Mitarbeiter und Teilzeitkräfte (alle Lohn- und Gehaltsempfänger, nicht hingegen Auszubildende) anteilig berechnet werden. Für den Jahresumsatz bzw. die Jahresbilanzsumme ist der letzte Jahresabschluss maßgeblich. Stellt das Unternehmen am Stichtag fest, dass es auf Jahresbasis diese Schwellenwerte für die Mitarbeiterzahl oder die Bilanzsumme über- oder unterschreitet, so verliert bzw. erwirbt es den Status eines KMU erst dann, wenn es in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zu einer Über- oder Unterschreitung kommt (Art. 4 Abs. 2 von Anhang I der AGVO).

Bei sog. Partnerunternehmen oder verbundenen Unternehmen müssen die Mitarbeiter, Umsätze und Bilanzsummen weiterer Unternehmen (anteilig) hinzugerechnet werden (funktionaler Unternehmensbegriff, siehe unter 2.). Dadurch soll sichergestellt werden, dass die für KMU vorgesehenen Maßnahmen diejenigen Unternehmen erreichen, die aufgrund ihrer geringen Größe tatsächlich einen Nachteil haben. Dagegen sollen (kleine) Gesellschaften ausgeklammert werden, die Teil einer Unternehmensgruppe sind und daher über eine stärkere Wirtschaftskraft als ein alleinstehendes KMU verfügen.

2. Wann liegen verbundene Unternehmen oder Partnerunternehmen vor?

Verbundene Unternehmen liegen – vereinfacht gesprochen – dann vor, wenn eines dieser Unternehmen

  • die Mehrheit der Stimmrechte hält,
  • berechtigt ist, die Unternehmensführung zu bestimmen oder abzusetzen,
  • aufgrund eines Vertrags oder einer Unternehmenssatzung berechtigt ist, einen beherrschenden Einfluss auf das andere Unternehmen auszuüben.

Je nach Rechtsform der Unternehmen, der Eigentumsverhältnisse am Unternehmen und dem Gesellschaftsvertrag können hier weitere Besonderheiten bei der Abgrenzung eine Rolle spielen. Letztlich kommt es in einer Einzelfallbetrachtung darauf an, ob ein Unternehmen auf ein anderes Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann.

Als verbundene Unternehmen gelten übrigens auch Unternehmen, die durch eine oder mehrere natürliche Personen miteinander in einer Beziehung stehen, sofern diese Unternehmen ganz oder teilweise auf demselben Markt oder auf benachbarten Märkten (vor- oder nachgeschaltete Märkte) tätig sind (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 4 von Anhang I der AGVO). Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn eine Person mehrere Geschäftsführer- oder Vorstandstätigkeiten ausübt und dadurch die geschäftlichen Entscheidungen der Unternehmen aufeinander abstimmen kann.

Partnerunternehmen sind demgegenüber alle Unternehmen, die nicht bereits als verbundene Unternehmen gelten und bei denen ein Unternehmen (das vorgeschaltete Unternehmen) 25 % oder mehr des Kapitals oder der Stimmrechte eines anderen Unternehmens (nachgeschaltetes Unternehmen) hält. Selbst wenn die Schwelle von 25 % überschritten wird, gibt es jedoch für bestimmte Kategorien von Investoren Ausnahmen, z.B. bei Risikokapitalgesellschaften oder bei Beteiligung von Universitäten oder Forschungszentren ohne Gewinnzweck. Diese werden nicht als Partnerunternehmen betrachtet.

3. Schließt eine Beteiligung der öffentlichen Hand die KMU-Eigenschaft aus?

Ein Unternehmen kann nicht als KMU angesehen werden, wenn 25 % oder mehr seines Kapitals oder seiner Stimmrechte direkt oder indirekt von einer oder mehreren öffentlichen Stellen einzeln oder gemeinsam kontrolliert werden (Art. 3 Abs. 4 von Anhang I der AGVO). Hintergrund dieser Bestimmung ist, dass zur öffentlichen Hand gehörende Einrichtungen und Behörden sich in der Regel leichter refinanzieren können. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist es daher grundsätzlich nicht erforderlich, diese Unternehmen zu privilegieren, selbst wenn sie die Schwellenwerte für ein KMU (siehe oben 1.) einhalten sollten. Dies ist eine für die Praxis maßgebliche Einschränkung, da somit kommunale Beteiligungsgesellschaften in aller Regel (s.u.) keinen KMU-Status genießen, da sie dem „Konzern Stadt“ zugerechnet werden müssen.

Der Begriff der „öffentlichen Stelle“ umfasst dabei alle Einrichtungen oder Behörden der öffentlichen Hand, einschließlich der Gebietskörperschaften und der besonders zur Erfüllung von Bedürfnissen des Allgemeininteresses geschaffenen Stellen, die eine Rechtspersönlichkeit besitzen und überwiegend durch den Staat, durch Gebietskörperschaften oder andere öffentliche Stellen finanziert bzw. direkt oder indirekt von ihnen kontrolliert werden (EuG, Urteil vom 24.09.2020, C-516/19, Rn. 52 – NMI Technologietransfer).

Aus Vereinfachungszwecken kommt es für die Kontrolle allein auf die Höhe der Beteiligung der öffentlichen Stellen am Kapital oder den Stimmrechten des betreffenden Unternehmens an und nicht auf sonstige Faktoren. Daher ist es z.B. nicht relevant, ob diese Stellen in der Lage sind, zu beeinflussen und zu koordinieren, wie ihre Stimmrechte tatsächlich durch ihre Vertreter ausgeübt werden (EuG, Urteil vom 24.09.2020, C-516/19, Rn. 70 ff. – NMI Technologietransfer).

Ausgenommen davon sind jedoch Unternehmen im Eigentum von autonomen Gebietskörperschaften mit einem Jahreshaushalt von weniger als 10 Mio. EUR und weniger als 5.000 Einwohnern (Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 UAbs. 2 lit. d von Anhang I der AGVO). Diese Unternehmen unterfallen weiterhin dem KMU-Begriff. Ebenso kann die KMU-Eigenschaft unabhängig von der öffentlichen Beteiligung bei staatlichen Beteiligungsgesellschaften (bei Investitionen bis zu 1,25 Mio. EUR), Universitäten oder Forschungszentren ohne Gewinnzweck, sowie institutionellen Investoren einschließlich regionaler Entwicklungsfonds, bejaht werden. Dies gilt jedoch nur, solange diese Investoren nicht einzeln oder gemeinsam mit dem betroffenen Unternehmen verbunden sind (Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Aus. 2 lit. a-c von Anhang I der AGVO).

4. Wie kann die KMU-Eigenschaft nachgewiesen werden?

Kommt es bei einer Beihilfe darauf an, ob ein Unternehmen dem KMU-Begriff unterfällt, kann das Unternehmen eine Erklärung darüber abgeben, ob es sich als eigenständiges Unternehmen, Partnerunternehmen oder verbundenes Unternehmen betrachtet (Art. 3 Abs. 5 Anhang I der AGVO). Eine solche Erklärung wird dann bei einer behördlichen oder gerichtlichen Überprüfung berücksichtigt. Eine solche Erklärung dürfte grundsätzlich auch hinsichtlich der anderen Voraussetzungen (z.B. Mitarbeiterzahl und Jahresumsatz) geeignet sein.

Eine reine Erklärung reicht dagegen nicht aus, sofern der nationalen Behörde oder Kommission Indizien vorliegen, die Anlass zu Bedenken hinsichtlich der KMU-Eigenschaft geben (vgl. EuG, Urteil vom 09.09.2020, T-745/17 Kerkosand / Kommission). In diesem Fall wird es regelmäßig erforderlich sein, weitere Nachweise vorzuhalten.

5. Worauf sollten Unternehmen achten?

  • KMUs sollten regelmäßig prüfen, ob sie Sonderregelungen in Anspruch nehmen können. Denn in vielen EU-Rechtsgebieten, z.B. im EU-Beihilferecht, werden KMU privilegiert.
  • Die KMU-Eigenschaft sollte jedoch auch bei kleinen Unternehmen nicht vorschnell angenommen werden. Hier gibt es zahlreiche Fallstricke, insbesondere wenn gesellschaftsrechtliche Verbindungen zu anderen Unternehmen oder öffentlichen Stellen bestehen, sodass eine sorgfältige Prüfung erforderlich ist.

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