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Flughäfen aktuell 11/2019: EuGH-Urteil zu Flughafenentgelten

21. November 2019

Nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21. November 2019 (C-379/18) werden Airlines vor deutschen Verwaltungsgerichten gegen die Entgeltordnungen von Flughäfen klagen können. Dadurch wird der Rechtsschutz der Airlines insofern gestärkt, als sie nunmehr gegen die Entgeltordnungen als solche vorgehen können, während sie bisher nur die für sie geltenden Entgelte vor den Zivilgerichten überprüfen lassen konnten. Dies stellt eine wichtige Präzisierung dar und führt in Deutschland zu maßgeblichen Änderungen in der Praxis.

Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass die deutsche Praxis zur gerichtlichen Prüfung von Flughafenentgeltordnungen nicht mit der EU-Richtlinie 2009/12/EG über Flughafenentgelte (Flughafenentgelte-RL) vereinbar ist. Aufgrund der Vorlage des deutschen Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat der EuGH entschieden, dass die genehmigten Entgelte verbindlich sind und die zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten der Flughafennutzer nicht ausreichen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die rechtlichen Hintergründe des Verfahrens und den Inhalt sowie die Bedeutung des EuGH-Urteils.

1   Hintergrund

1.1   Wie kam das Verfahren zum EuGH?

Die Deutsche Lufthansa AG (DLH) hatte Anfechtungsklage gegen die Genehmigung der neuen Entgeltordnung gemäß § 19b LuftVG für den Flughafen Berlin-Tegel erhoben. Die DLH begehrt mit ihrer Klage die Aufhebung der Genehmigungsentscheidung der Aufsichtsbehörde.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg) hatte in seinem Urteil vom 22. Juni 2016 (OVG 6 A 3.15) die Klage als unzulässig abgewiesen, da die DLH keine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO habe. Klagebefugt ist nur, wer die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann.

Nach Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg hat die Genehmigung der Entgeltordnung weder eine privatrechtsgestaltende Wirkung für das zwischen dem Flughafennutzer und dem Flughafenbetreiber bestehende Zivilrechtsverhältnis, noch lässt sich aus § 19b LuftVG ein Drittschutz (also ein subjektives Recht) zugunsten der Flughafennutzer ableiten. Auch aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG lasse sich nicht ableiten, dass eine Klage vor den Verwaltungsgerichten zulässig sein müsse. Denn die auf privatrechtlicher Grundlage gezahlten Entgelte unterliegen der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB, die vor Zivilgerichten durchgesetzt werden kann.

Gegen dieses Urteil legte die DLH Revision zum BVerwG (3 C 20.16) ein. Da die Frage der Klagebefugnis auch die Auslegung der Flughafenentgelte-RL betraf, setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aus und fragte den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 Abs. 3 AEUV),

(1)     ob eine nationale Vorschrift, die vorsieht, dass die vom Flughafenleitungsorgan beschlossene Flughafenentgeltregelung der unabhängigen Aufsichtsbehörde zur Billigung vorzulegen ist, ohne dem Flughafenleitungsorgan und dem Flughafennutzer zu verbieten, andere als die von der Aufsichtsbehörde gebilligten Entgelte festzusetzen, mit der Flughafenentgelte-RL zu vereinbaren ist und

(2)     ob eine Auslegung des nationalen Rechts mit der genannten Richtlinie vereinbar ist, wonach es einem Flughafennutzer verwehrt ist, die Billigung der Entgeltordnung durch die unabhängige Aufsichtsbehörde anzufechten, er aber gegen das Flughafenleitungsorgan Klage erheben und dort geltend machen kann, dass das in der Entgeltordnung festgelegte Entgelt nicht der Billigkeit entspricht.

1.2   Wieso werden Vergleiche zum Eisenbahnverkehrsrecht gezogen?

Das BVerwG sah eine Parallele zur Regulierung von Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr. Der EuGH hat durch Urteil vom 09. November 2017 (C-489/15) nach Vorlage des LG Berlin (20 O 203/14; dazu Praxisinfo vom 03. Mai 2016) entschieden, dass die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle der Wegeentgelten gemäß § 315 BGB mit den Regelungen der zugrundeliegenden europäischen Richtlinie unvereinbar sind. Denn die zivilgerichtliche Billigkeitskontrolle führe dazu, dass die Billigkeit nur zwischen dem Entgeltpflichtigen und dem Entgeltberechtigten (inter partes) hergestellt werde. Eine Änderung des Entgelts im bilateralen Verhältnis (aufgrund einer zivilgerichtlichen Kontrolle gemäß § 315 BGB) steht jedoch nach Auffassung des EuGH im Widerspruch zu einer einheitlichen, diskriminierungsfreien Anwendung der Entgeltordnung. Da das deutsche Recht keinen Mechanismus vorsah, wonach die Entgeltordnung im Nachgang zu einer bilateralen zivilgerichtlichen Entscheidung durch die Regulierungsstelle in ihrer Gesamtheit überprüft würde, würden anderen Entgeltpflichtige diskriminiert.

2   Wieso sorgten die Schlussanträge des Generalanwalts für Wirbel?

Die Schlussanträge des Generalanwalts Campos Sánchez-Bordona vom 27. Juni 2019 in der Sache C-379/18 (Vorlageverfahren des BVerwG wegen Klagebefugnis der DLH) hatten für Aufsehen in der Branche gesorgt. Auf airliners.de war vom „Ende der Vertragsfreiheit“ die Rede.

Der Generalanwalt vertrat den Standpunkt, dass private Vereinbarungen mit (einzelnen oder mehreren) Flughafennutzern den allgemeinen Charakter der Entgeltregelung beeinträchtigen und unter dem Aspekt der Transparenz „unüberwindbare Verzerrungsfaktoren“ einführen würden. Die sich aus Art. 6 Abs. 5 lit. a der Flughafenentgelte-RL ergebende Bindungswirkung der Entscheidung der Aufsichtsbehörde würde durch solche privaten Vereinbarungen umgangen und andere Flughafennutzer würden diskriminiert. Eine Bevorzugung bestimmter Flughafennutzer sei nur im Rahmen allgemeiner, durch die Aufsichtsbehörde zuvor genehmigter Differenzierungen zulässig (z.B. bedarfsgerechte Dienstleistungen).

Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung der Entgelte brachte der Generalanwalt wie bereits zuvor das BVerwG die Vergleichbarkeit mit der Entscheidung zu den Wegeentgelten im Eisenbahnverkehr an. Er hob insbesondere hervor, dass nicht erkennbar sei, wie die Wirkungen eines in einem einzelnen Rechtsstreit inter partes ergangenen Zivilurteils auf andere Nutzer erstreckt werden könnten. Die Wirksamkeit der Richtlinie hinge davon ab, dass die anderen Nutzer ebenfalls Klagen erheben. Die Wahrung einer gemeinsamen, auf Nichtdiskriminierung, Transparenz und der Beteiligung der Nutzer beruhenden Entgeltordnung wäre damit nicht gewährleistet.

Der Generalanwalt ließ auch nicht den Einwand gelten, dass eine Klagebefugnis der Flughafennutzer die Anwendung der Entgeltordnung erheblich erschwere. Es sei zum einen Sache des nationalen Gesetzgebers, Verfahrensvorschriften einzuführen, die einen allgemeinen Stillstand der Erhebung von Entgelten verhindern. Zum andern bestünde nach dem geltenden nationalen Recht die Befugnis, ungeachtet einer gerichtlichen Anfechtung der Entgeltordnung die Zahlung der betreffenden Entgelte in jedem Fall durchzusetzen, wenn es im öffentlichen Interesse erforderlich ist.

3   Was hat der EuGH entschieden?

Der EuGH ist dem Generalanwalt im Grundsatz gefolgt und hat in seinem Urteil die Flughafenentgelte-RL in einem Sinne interpretiert, der eine effektive Anwendung des Unionsrechts (effet utile-Grundsatz) gewährleistet. Die Abweichung von genehmigten Entgelten und die erschwerte gerichtliche Überprüfung der durch die Richtlinie verliehenen Rechte seien damit nicht vereinbar.

3.1   Wie begründet der EuGH sein Urteil?

In Bezug auf die erste Vorlagefrage hebt der EuGH den verbindlichen Charakter der genehmigten Flughafenentgeltregelungen hervor. Er stellt fest, dass nationale Bestimmung, die wie § 19b Abs. 1 und 3 LuftVG ein obligatorisches Verfahren und ein Genehmigungserfordernis vorsehen, für alle Nutzer verbindlich sein müssen. Daher dürfte nicht mit einzelnen Flughafennutzern andere als die zuvor gebilligten Entgelte festgesetzt werden.

Eine Abweichung von der genehmigten Entgeltregelung sei nicht mit dem verbindlichen Charakter der Genehmigungsentscheidung und der Rolle der Aufsichtsbehörde vereinbar. Die Anforderungen hinsichtlich Konsultation, Transparenz und Nichtdiskriminierung würden leerlaufen, wenn letztlich eine Abweichung ohne Einhaltung dieser Grundsätze möglich wäre.

Bezogen auf die zweite Vorlagefrage stellt der EuGH stellt zunächst fest, dass die sich aus der Flughafenentgelte-RL ergebenden Grundsätze des Diskriminierungsverbots, der Transparenz und der Konsultation zugunsten der Flughafennutzer Rechte begründen, die diese gerichtlich geltend machen können. Die Regelung des „Wie“ der gerichtlichen Geltendmachung, mithin die Benennung des anwendbaren Klageinstruments, bleibe zwar den Mitgliedstaaten und damit dem nationalen Recht überlassen. Jedoch müsse der unionsrechtliche Grundsatz des effektiven Rechtschutzes wie auch der effet utile-Grundsatz gewahrt werde.

Der EuGH stellt fest, dass der bislang nur mittelbare Rechtsschutz der Flughafennutzer nach deutschem Prozessrecht zur Überprüfung der Flughafenentgelte vor den Zivilgerichten diesen Anforderungen nicht genügt. Die Zivilgerichte könnten nur am Maßstab der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB entscheiden. Nach dem EuGH ist dieser Prüfungsmaßstab jedoch nicht mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar. Zum einen würden im Rahmen der zivilgerichtlichen Kontrolle nur bilateral (inter partes) die seitens des jeweiligen Flughafennutzers zu zahlenden Entgelte überprüft, was einer einheitlichen und diskriminierungsfreien Regelung widerspreche. Zum anderen fänden wesentliche Gesichtspunkte des Konsultations- wie des Genehmigungsverfahrens im Rahmen der Billigkeitskontrolle keine Berücksichtigung.

Folglich sei im Zivilrechtsklageweg kein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz der Flughafennutzer sichergestellt.

3.2   Welche Konsequenzen hat das Urteil?

Das EuGH-Urteil bindet nun das BVerwG bei seiner Anwendung des Unionsrechts. Daher ist zu erwarten, dass das BVerwG die verwaltungsrechtliche Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO bejaht. Das BVerwG wird dann den Rechtsstreit zurück an die Vorinstanz zur Entscheidung in der Sache verweisen.

Da das EuGH-Urteil die Auslegung der Flughafenentgelte-RL betriff, kann das Urteil grundsätzlich auch Wirkungen für den Zeitraum vor dem Urteil (seit der Geltung der Richtlinie) haben. Wegen der Wirkung des EuGH-Urteils für die Vergangenheit (ex tunc) könnte es auch bereits für bestehende Entgeltordnungen relevant sein.

Angesichts des Urteils des EuGH ist mit einer verstärkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Entgeltordnungen zu rechnen. Das Urteil dürfte allerdings nicht das Ende der Vertragsfreiheit bedeuten. Zum einen waren die Entgelte bereits nach der bisherigen deutschen Anwendungspraxis weitgehend durch das Entgeltrecht bzw. die auf dieser Basis genehmigten Entgeltordnungen geregelt. Zum anderen betrifft das Urteil nur den Anwendungsbereich der Flughafenentgelt-RL. Es ist daher im Detail auszuloten, welche Vereinbarungen nach aktueller Rechtslage zulässig sind. Dabei wird es auch auf die konkreten Regelungen der jeweiligen Entgeltordnung ankommen.

Eine weitere Folgefrage ist, ob auch eine kartellrechtliche Prüfung von Flughafenentgelten (unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung) schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Bestimmungen zur Regulierung von Entgelten abschließend sind. Es ist jedoch keinesfalls evident, dass das primärrechtliche Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) durch das sekundärrechtliche Regulierungsrecht verdrängt wird. Der BGH (KZR 39/19) hat bezogen auf den Eisenbahnverkehr entschieden, dass das Kartellrecht trotz EU-rechtlicher Regulierung grundsätzlich anwendbar ist. Diese umstrittene Frage wurde durch den EuGH bisher nicht entschieden.

Für Fragen stehen Ihnen die Mitglieder unseres Kompetenzteams Flughäfen gerne zur Verfügung.

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Ansprechpartnerin für Medienanfragen

Jennifer Wagener
Jennifer Wagener

Leitung Marketing, Business Development & Kommunikation

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