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Die EU-Notfallverordnung zur vorübergehenden Beschleunigung des EE-Ausbaus

26. Januar 2023

Der Europäische Rat hat am 22. Dezember 2022 die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Verordnung zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien beschlossen (im Folgenden „Notfall-VO“). Die Verordnung bildet den vorübergehenden Rahmen zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens und der Durchführung von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien. Sie enthält u.a. einige gezielte Sofortmaßnahmen zur Beschleunigung des Verfahrens zur Genehmigungserteilung für ausgewählte Technologien und Projektarten im Bereich der erneuerbaren Energien und zum Repowering von EE-Anlagen, um der aktuellen Energie- und Klimakrise kurzfristig entgegenzutreten.

Den Hintergrund und die wesentlichen Inhalte der Verordnung haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst.

1. Hintergrund

Die Notfall-VO ist in erster Linie eine Reaktion des europäischen Gesetzgebers auf den Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine. Um die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Energieversorgung in Europa zu adressieren, stellte die Europäische Kommission bereits im März 2021 den REPowerEU-Plan vor. Teil des hiermit angestoßenen REPower-EU-Prozesses ist u. a. die Novellierung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (im Folgenden „EE-RL“) mit dem Ziel der Beschleunigung und Erleichterung des Ausbaus erneuerbarer Energien.

Dieses Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der EE-RL läuft derzeit noch; ist es einmal abgeschlossen, bedarf es dann noch der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Direkte Wirkungen werden folglich erst mittelfristig spürbar sein. Angesichts der im zweiten Halbjahr 2022 insbesondere durch Energiepreisentwicklungen stark gestiegener Inflation im Euro-Währungsgebiet sah sich die Kommission jedoch dazu veranlasst, mit gezielten Sofortmaßnahmen nachzusteuern. Sie griff daher zum Instrument der Notfall-Verordnung (Kompetenzgrundlage Art. 122 Abs. 1 AEUV).

Anders als Richtlinien müssen Verordnungen nicht von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, sondern entfalten unmittelbare Rechtswirkungen. In inhaltlicher Hinsicht greift die Notfall-VO bestimmte Elemente aus dem laufenden Verfahren zur EE-RL auf (z. B. überwiegendes öffentliches Interesse an den erneuerbaren Energien, maximale Verfahrensfristen) und dient somit gewissermaßen als Brücke bis zur Umsetzung der EE-RL; ebenso enthält sie aber neue Elemente.

2. Anwendungsbereich (Art. 1)

Im Anwendungsbereich der Verordnung wird deutlich gemacht, dass es sich bei dieser um vorübergehende Notfallvorschriften handelt. Daher gilt die Verordnung gem. Art. 10 grundsätzlich lediglich für 18 Monate ab ihrem Inkrafttreten am 30.12.2022. Die Vorschriften gelten nach Art. 1 für die Verfahren zur Genehmigungserteilung für die Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Energiequellen. Grundsätzlich adressiert die Verordnung damit die Genehmigungsverfahren für EE-Anlagen (inkl. Netzanschluss) insgesamt. Die Norm stellt im weiteren Verlauf aber dar, dass die Verordnung einen besonderen Schwerpunkt auf bestimmte Technologien oder Projektarten legt, mit denen eine kurzfristige Beschleunigung des EE-Ausbaus in der Union erreicht werden kann.

Die Verordnung gilt jedenfalls für alle Verfahren zur Genehmigungserteilung, deren Beginn innerhalb der Geltungsdauer liegt. Nicht notwendig ist, dass die Verfahren auch innerhalb der Geltungsdauer abgeschlossen werden. Darüber hinaus benennt die Verordnung ausdrücklich die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, diese auch auf laufende Verfahren anzuwenden, für die vor dem 30.12.2022 noch keine endgültige Entscheidung ergangen ist, sofern das Verfahren damit verkürzt wird und bereits bestehende Rechte Dritter gewahrt werden.

3. Überwiegendes öffentliches Interesse (Art. 3)

Art. 3 der Verordnung betont die Relevanz der erneuerbaren Energien, indem dieser festlegt, dass bei der Abwägung rechtlicher Interessen im Einzelfall angenommen wird, dass die Planung, der Bau und der Betrieb von EE-Anlagen und Einrichtungen sowie ihr Netzanschluss, das betreffende Netz selbst und die Speicheranlagen im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit dienen. Anders als die deutsche Parallel-Norm - § 2 EEG – trifft die Regelung eine Annahme, weshalb es sich hierbei wohl um eine widerlegbare Vermutung handeln dürfte. Das besondere Interesse nach Art. 3 der Notfall-VO kann durch die Mitgliedstaaten auf bestimmte Teile ihres Hoheitsgebiets sowie auf bestimmte Technologien oder Projekte beschränkt werden.

Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass zumindest Projekte von überwiegendem öffentlichem Interesse in der fallweisen Abwägung der Rechtsinteressen Priorität erhalten. Die Verordnung normiert damit keinen absoluten Vorrang der Erneuerbaren, sondern setzt, wie bereits § 2 EEG, auf einen relativen Vorrang. Dieser greift allerdings nur in den konkret in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung aufgezählten Fällen, sprich bei Abweichungen von Ge- und Verboten des Arten-, Gebiets- und Wasserschutzrechts.

Im Hinblick auf den Artenschutz relativiert die Norm ihre Wirkung unmittelbar selbst. Denn die erneuerbaren Energien genießen nur dann Priorität, wenn und soweit geeignete Artenschutzmaßnahmen, die zur Erhaltung oder Widerherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Populationen der Art beitragen, ergriffen werden und für diesen Zweck ausreichende Finanzmittel und Fläche bereitgestellt werden. Der Abwägungsvorgang zugunsten der erneuerbaren Energien wird nach Art. 3 der Notfall-VO von populationsstützenden Maßnahmen abhängig gemacht. Diese Formulierung ist deshalb wenig geglückt, da aus dem Wortlaut nicht eindeutig hervorgeht, wer Adressat dieser Verpflichtung sein soll. Nachdem nach Art. 20a GG, § 2 Abs. 1 BNatSchG sowie Art. 12 Abs. 4 der FFH-Richtlinie der Artenschutz als Staatsaufgabe definiert ist, sind wohl die Mitgliedstaaten angehalten, entsprechende Maßnahmen sicherzustellen.

Insgesamt bringt diese Regelung keine Neuerung für die deutsche Rechtspraxis. Denn das besondere öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien ist bereits in § 2 EEG bundesrechtlich normiert. Dennoch wird dieses durch die europarechtliche Verankerung nochmals unterstrichen.

4. Verfahrensbeschleunigung PV (Art. 4)

Die Notfall-VO sieht weiter eine Höchstfrist der Genehmigungsverfahren für die Installation von Solarenergieanlagen auf „künstlichen Strukturen“ wie z.B. Gebäuden vor. Die Verfahren zur Genehmigungserteilung dürfen nach Art. 4 Abs. 1 der Notfall-VO nicht länger als drei Monate dauern. Eine etwaige bestehende Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) entfällt. Zu beachten ist, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Gebiete oder Strukturen aus Gründen des Schutzes kulturellen oder historischen Erbes oder aus nationalen Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen von diesen Bestimmungen ausnehmen können (Art. 4 Abs. 2).

Darüber hinaus wird eine Genehmigungsfiktion für Kleinanlagen mit einer Kapazität von höchstens 50 kW eingeführt, wenn die zuständige Behörde nicht innerhalb eines Monats nach Antragstellung hierauf eine Antwort übermittelt und die Netzanschlusskapazitäten vorhanden sind. Die Mitgliedsstaaten erhalten die Möglichkeiten den Schwellenwert für die Anwendbarkeit der Genehmigungsfiktion herabzusetzen, sofern dieser über 10,8 kW liegt.

Sofern die Errichtung von Solarenergieanlagen in, an und auf Dach- und Außenwandflächen nicht ohnehin als verfahrensfrei nach den jeweiligen Landesbauordnungen gilt, können diese Regelungen zu einer Beschleunigung Ausbaus von Solarenergieanlagen beitragen.

5. Repowering (Art. 5)

Auch das Repowering (Begriffsverständnis nach Art. 2 Nr. 10 EE-RL) wird als wichtiges Element zur Steigerung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen angesehen und konsequenterweise von der Verordnung adressiert. So darf das Genehmigungsverfahren von Repowering-Projekten, einschließlich etwaiger Umweltverträglichkeitsprüfungen nach Art. 5 Abs. 1 der Notfall-VO nicht länger als sechs Monate dauern. Die Zulassung des betreffenden Netzanschlusses hat im Falle einer Kapazitätssteigerung von max. 15 % gar innerhalb von drei Monaten zu erfolgen, es sei denn es bestehen begründete Sicherheitsbedenken oder es liegt eine technische Inkompatibilität mit Netzkomponenten vor (Art. 5 Abs. 2).

Eine etwaige erforderliche UVP-Vorprüfung oder eine UVP selbst sind beschränkt auf die potenziell erheblichen Auswirkungen der Änderung oder Erweiterung im Vergleich zum ursprünglichen Projekt (Art. 5 Abs. 3). Es geht folglich nur um diejenigen Auswirkungen, die infolge des Repowerings hinzukommen (sogenannte Delta-Betrachtung, vgl. § 16b Abs. 1 BImSchG). Auf Grund der bereits bestehenden Auswirkungen der im Zuge des Repowerings wegfallenden Alt-Anlagen ist gerade keine vollumfängliche Prüfung durchzuführen.

6. Erleichterungen in ausgewiesenen Gebieten (Art. 6)

Besonders im Fokus steht derzeit der erst auf den letzten Metern des Gesetzgebungsverfahrens geschaffene Art. 6 der Notfall-VO. Die Regelung gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit – insoweit bedarf es also eines Tätigwerdens der Mitgliedstaaten – für EE-Projekte (sowie Speicher und Netze) Ausnahmen von der UVP sowie den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten (Tötungsverbot & Co) der Art. 12 Abs. 1 Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und Art. 5 Vogelschutz-Richtlinie vorzusehen. Ausnahme dürfte mit Blick auf die UVP meinen, dass eine solche nicht erforderlich ist; mit Blick auf die Verbotsregelungen, dass kein Verbotsverstoß vorliegt. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass das betreffende Projekt in einem mitgliedstaatlich für erneuerbare Energien oder Stromnetze ausgewiesenem Gebiet liegt und in Bezug auf dieses Gebiet eine strategische Umweltprüfung durchgeführt worden ist (Art. 6 S. 1).

Um die Einhaltung der Art. 12 Abs. 1 FFH-RL und Art. 5 Vogelschutz-RL, mit anderen Worten also einen fehlenden Verbotsverstoß zu gewährleisten, muss die zuständige Behörde zudem sicherstellen, dass auf der Grundlage der vorhandenen Daten geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen ergriffen werden (Art. 6 S. 2). Sind derartige Maßnahmen aber nicht verfügbar ist sicherzustellen, dass der Anlagenbetreiber einen finanziellen Ausgleich für Artenschutzprogramme bezahlt.

Art. 6 hat seinen Weg in die Notfall-VO insbesondere auf Drängen Deutschlands gefunden. Die in Bezug auf die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote vorgesehenen Mechanismen (Vermeidung eines Verstoßes durch Minderungsmaßnahmen, Zahlung für Artenschutzprogramme) scheinen sich auch zumindest im Grundsatz an der deutschen Rechtslage zu orientieren. Die konkrete Umsetzung der europarechtlich durch Art. 6 eingeräumten Möglichkeiten ist ebenfalls bereits in der Mache: so läuft derzeit das Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung eines neuen § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG), mit dem der Gesetzgeber die vorgesehenen Erleichterungen für UVP und artenschutzrechtliche Verbote für Windenergiegebiete im Sinne des § 2 WindBG nutzbar machen möchte (siehe BT-Drs. 20/4823). Entsprechende Bestrebungen für andere EE-Arten (oder Speicher und Netze) sind derzeit (noch) nicht ersichtlich.

7. Weitere Regelungen

Neben weitergehenden Regelungen zur Berechnung der genannten Fristen (Art. 8) und Vorgaben zur Überprüfung der Verordnung inkl. Verlängerungsvorschlags-Option (Art. 9) enthält die Notfall-VO in Art. 7 noch Vorgaben zur Beschleunigung des Ausbaus der Nutzung von Wärmepumpen.

Auch hier gelten Höchstfristen für das Genehmigungsverfahren (Wärmepumpen unter 50 MW elektrische Leistung max. ein Monat; Erdwärmepumpen max. drei Monate). Zudem werden Anschlüsse von Wärmepumpen an das Übertragungs- oder Verteilernetz nach Mitteilung an die zuständige Stelle in zwei Konstellationen direkt genehmigt (elektrische Leistung bis zu 12 kW; Wärmepumpe eines EE-Eigenversorgers mit Leistung bis zu 50 kW mit Kapazität der EE-Anlage von mind. 60% der Kapazität der Wärmepumpe). Von alldem können Mitgliedstaaten – entsprechend der Regelung zu Solarenergieanlagen (Art. 4) – bestimmte Gebiete oder Strukturen aus Gründen des Schutzes kulturellen oder historischen Erbes sowie aus Gründen der nationalen Verteidigung oder Sicherheit ausnehmen.

Bei weiteren Fragen rund um die Genehmigung der Errichtung und des Betriebs von EE-Anlagen stehen Ihnen die Mitglieder des Kompetenzteams Erneuerbare Energien und der Praxisgruppe Öffentliches Recht gerne zur Verfügung.

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